Wir gratulieren Sibylle Berg zum Bertolt-Brecht-Preis 2020 der Stadt Augsburg.
Die Schriftstellerin hat sich in ihrer SPON-Kolumne immer wieder auch mit Themen wie Esoterik, Verschwörungstheorien, Alternativmedizin, Online-Hetze etc. befasst.
Drei Höhepunkte aus den letzten Jahren:
Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass Esoteriker, Sichfinder, Erleuchtete eine wirklich unsympathische Menschengruppe sind?
Das Bild, das mich in meinen Vorurteilen komplett bestätigte, fand ich in Sri Lanka. Ein Jahr nach dem Tsunami, die Einwohner hockten vor vergammelten Massenlagern, die Ruinen ihrer Häuser standen traurig da, vermutlich lagen auch noch Überreste von Tieren, Menschen, Radios herum. Am Strand jedoch war alles schon wieder geputzt. Eine Gruppe deutscher Sinnsucher war angereist, um Yoga zu machen.
Ich hörte ihr Feilschen um Centbeträge im schnell wieder errichteten Spaghetti-Restaurant. Da wollen Sie doch nicht dazugehören, zu diesen Leuten, die fast immer verspannte Mundwinkel haben und jeden Satz mit ICH beginnen.
Der Chemtrail-Fanatiker ist von der Richtigkeit seiner Ideen so überzeugt wie der Nazi, der Antisemit und der Grüne. Keine Wertung. Kein richtig oder falsch.
Je lauter Sie Ihr Argument vorbringen oder Ihre Forderung, umso verstockter wird Ihr Gegner werden. Die geistige Kapazität, um eigene Beschränktheiten zu erkennen, ist vielleicht zwei Prozent der Menschheit gegeben. Rechnen Sie nicht damit, wenn Sie auf Ihren Gegner treffen. Was tun wir also mit der Einsicht, dass Argumente fast niemanden erreichen, und dass Aggression jedes Problem nur zuspitzt?
Vielleicht denken Sie sich: Wenn ich die Gegner meiner Weltsicht nicht überzeugen kann, bleibe ich einfach zu Hause, poliere Porzellan und warte auf mein Ende. Das Problem: So angenehm sich dieser Gedanke anfühlen mag, er führt nicht zu einer Verbesserung der Welt oder was auch immer Sie dafür halten – nicht einmal im Kleinen.
Denn dieser Gedanke beraubt Sie der Chance, wenigstens die aufgeschlossenen zwei Prozent zu erreichen.
Die Theorien, die Impfgegner, Abtreibungsgegner, Flacherdler-Verschwörungstheoretiker, Demokratie- und Minderheitenkritiker von sich geben, lassen mich erstaunt zurück.
Als wäre es heute zwingend erforderlich, Unbelegbares von sich zu geben, um in der angenehmen Masse zu verschwinden und nicht aufzufallen. Ich schäme mich also ab und zu für erwachsene Menschen, die ihrer Angst vor dem Umstand, dass sie unbedeutend sein könnten (die fast immer berechtigt ist) durch Raunen und Krakeelen Ausdruck verleihen. Sie schreiben Kommentare, füllen Blogs, sie steigen auf Bierkästen und warnen […]
Setzen Sie sich ein. Kämpfen Sie in Briefen, im Netz oder 1.0 gegen alles, was die Bevölkerung Ihrer Länder wirklich bedroht. Den Krieg, den die rechten oder sogenannt konservativen Vertreterparteien der Superreichen gegen die ärmeren Schichten der Bevölkerung gerade führen. Den Klimawandel.
Die Zunahme von ausgestorben geglaubten Krankheiten durch schlaumeiernde Impfgegner, gegen die Gefährdung von Radfahrern, gegen die Ungleichbehandlung Ihrer Mitbürger, die nicht im Besitz eines Penis sind, gegen die Zubetonierung der Welt, gegen das Verscherbeln von Wasser und Boden, von Wohnraum und gegen die verdammte Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums.
Kämpfen Sie gern gegen Megakonzerne und Überwachung, gegen stumpfsinnige Digitalisierung sensibler Daten. Oder lesen Sie ein gutes Buch.
Die Preisverleihung findet am 18. Februar im Goldenen Saal des Rathauses statt.
Zum Weiterlesen:
- Sibylle Berg über Impfgegner: Wenn sich Einfalt gegen das Gemeinwohl richtet, GWUP-Blog am 18. April 2015